Archive for März, 2006
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暗恋
Dead Man
Dead Man
USA 1995. R,B: Jim Jarmusch. K: Robby Müller. S: Jay Rabinowitz. M: Neil Young. D: Johnny Depp, Gary Farmer, Lance Henriksen, Michael Wincott, John Hurt, Alfred Molina, Robert Mitchum, Mili Vital, Iggy Pop u.a. 120 Min. Pandora ab 4.1.96
Dreischnitt
Ein Sterbender, Karos tragend
(Verästelungen eingeklammert)
Ein junger Mann im karierten Anzug fährt für sein letztes Geld von Cleveland aus nach Machine, einem Ort an der Westküste der USA. Dergestalt die amerikanische Siedlerbewegung nachvollziehend, verschlägt es William Blake (Johnny Depp), den Karierten, bis zur Endstation. In Machine soll er als Buchhalter angestellt werden, doch Fabrikbesitzer Dickinson (Robert Mitchum) empfängt ihn mit einer Flinte und verspottet seinen Anzug als "clown-suit". Wie die Linien auf Blakes Anzugtuch kreuzen sich sein Weg und der Thels (Mili Avital). (Karos sind für Jarmusch ein Leitmotiv seit der ersten Version von "Coffee and Cigarettes". Die in dieser Hinsicht bemerkenswerteste Garderobe war bisher Roberto Benigni in "Down by Law" beschieden – nachdem er seine geliebte Nicoletta getroffen hatte.)
Blake und seine plötzliche Gefährtin verbindet unvermittelt der Pistolenschuß eines Eifersüchtigen, zufällig Dickinsons Sohn. Sie stirbt daran, Blake schleppt sich im folgenden – von derselben Kugel getroffen – seinem Tod entgegen. (Wie eine Sicherheitsnadel hielt ein Schuß die Episoden von "Mystery Train" zusammen, und der Japaner Jun kommentierte den Pistolenknall: "This is America." Dito in "Dead Man": So antwortet Blakes Geliebte auf seine Frage, warum sie einen Revolver unter dem Kopfkissen versteckt halte.) Weil Blake in Notwehr den Sohn Dickinsons erschießt, muß er, steckbrieflich gesucht, fliehen und wird von Nobody (Gary Farmer), einem von seinem Stamm verstoßenen Indianer, gepflegt und auf die Reise in den Tod vorbereitet. Nobody verkörpert keinen gewöhnlichen Indianer, er ist ein Fremder wie Jarmusch selbst. Pistolenkugeln nennt er "the white man’s metal", und er ist der einzige, der William Blakes Namen mit dem englischen Dichter und Maler des 18./19. Jahrhunderts assoziiert. So müßte es einem Romantiker wie Blake in diesem "freien Land" ergehen: Er wäre ein toterMann.
Jarmuschs Rückgriff auf William Blake offenbart sich als emblematische Figurenkonstruktion und eindeutiger Selbstkommentar. Im Werk des tief religiösen Frühromantikers lassen sich Gedanken ausmachen, die – nun mit zynischem Vorzeichen – für Jarmuschs Filme grundlegend sind. Bedeutete für Blake der Sündenfall die Schnittstelle zwischen mystischer Alleinheit und egoistischem Rationalismus, karikiert Jarmusch in diesem Sinne Vereinzelung und Isolation. "Dead Man" betreibt in vielen oft zotigen Variationen Satire auf den Materialismus, der als Movens im Faustrecht der Glücksritter wirksam bleibt, bis es den letzten via k.o.-System dahingerafft hat.
Doch Jarmusch bewahrt seine Trauer, wo andere ihren Spaß aus dem Blut der Filmfiguren filtern. In "Dead Man" bleibt ein Schuß spürbar, wird Gewalt evident als das, was sie ist: eine hysterische Krankheit des Menschentiers. Love & peace sind im Wilden Westen zertretene Ikonen.
Es bedarf des Indianers Nobody, um diesem hoffnungslos weltlichen Treiben eine meditative Instanz entgegenzusetzen. Ihm ist William Blake ein Begriff, weil er als Kind, zum Ausstellungsobjekt degradiert, mit der europäischen Kultur in Berührung kam.
"The ,western‘ as a genre is very open to metaphor and has deep roots in classical narrative forms", sagt Jim Jarmusch und überblendet als Ironiker, der er ist, der Bildfläche uramerikanischer Imagination seine Sicht des Menschengeschlechts, das jedes unschuldige Auge flugs an ein tägliches Blutbad gewöhnt. Nie hat Jarmusch Gewalt so akzentuiert, nie hat er Sex so offen gezeigt (selbst die Japaner, die in "Mystery Train" zusammen im Bett liegen, reden nur darüber). Blake sieht anfangs im Vorbeigehen einen mechanischen blow-job in einer Seitengasse, und der stehende Cowboy zielt auf ihn mit dem Revolver. Aufrichtige Gefühle bleiben Nobody vorbehalten – es gibt keine richtige Liebe im falschen Ballerspiel.
William Blake wird steckbrieflich gesucht und ist unschuldig. Man kommt kaum umhin, sein Bemühen um die Buchhalterstelle als kafkaesk zu bezeichnen. Chefbuchhalter Scholfield (John Hurt) verballhornt beharrlich Mr. Blake zu "Mr. Black" (siehe die Namensverwechslung bei Jack und Zack in "Down by Law" und diverse andere Figuren Jarmuschs, die ihre Identität verteidigen, ohne sie bisher gefunden zu haben) und nimmt ihm jede Hoffnung. Henri Michaux‘ literarisches Werk ist von ähnlicher Verzweiflung durchtränkt; Jarmusch erweist ihm durch ein Zitat zu Beginn von Dead Man die Referenz. (Übrigens wurde Michaux von Lautréamonts "Les chants de Maldoror" zum Schreiben angeregt, ein Buch, das der Protagonist in Jarmuschs Erstling "Permanent Vacation" [1980] liest.)
So wirkt Jarmusch weiter an seinem feinen Gespinst von Motiven und (Selbst-)Zitaten, verschafft frühen Anklängen ein spätes Echo und läßt durch minimale Variation anderes Licht auf die Dinge fallen. Dead Man ist jedoch vor allem einer dezidierten Fortentwicklung von Jarmuschs inhaltlichem und formalem System verschrieben.
Robby Müllers Kamera bewegt sich – im Werkkontext beurteilt – geradezu exzessiv und arrangiert das düstere Imperium Dickinsons zu ebenso formenreichen Tableaus wie die Natur (die bei Jarmusch zuvor nur als bedrohlicher Sumpf in "Down by Law" eine wichtige Kulisse abgab). Hier finden sich auch weitere Verbindungslinien zu William Blake senior. So liegt Blake im Film siechend unter einem Baum, ein Motiv, das sich im Werk des Romantikers als Illustration zu seinem Gedicht "The Poison Tree" wiederfindet.
Mit Neil Youngs Musik zitiert Jarmusch die Ära der Blumenkinder, die ein schwammiges Paradigma aus Empfindsamkeit und Utopismus besetzt. (Tom Waits, auf dessen brüchige Endzeit-Nocturnos Jarmusch mehrmals zurückgriff, hegt eine persönliche Abneigung gegen Sixties-Klänge und Young im besonderen – ein von Jarmusch möglicherweise bewußt gesetzter Kontrapunkt.)
Nobodys Sympathie für Blake beruht auf Verwechslung, und dabei wird der Indianer selbst zum Künstler. Er verabschiedet nicht nur den Menschen Bill Blake, sondern auch seine eigene Vorstellung von ihm. Beim letzten Blick auf die Welt bestätigen sich alle Befürchtungen.
Daniel Hermsdorf
Astral Weeks
"I know you’re dying, baby, and you know it, too."
(Van Morrison, Slim Slow Slider)
Mitte des 19. Jahrhunderts: Ein junger Mann auf der Reise zu den äußersten Grenzgebieten, sowohl West-Amerikas, als auch seines eigenen Ichs. Der Name des Mannes ist William Blake, er ist Namensvetter des berühmten Malers und Dichters, von dem er allerdings noch nie etwas gehört hat. Gespielt wird er von Johnny Depp, der immer noch zu den Ausnahmeerscheinungen Hollywoods gehört, weil er sich trotz ungebrochener Popularität dem Kino jenseits des Mainstream verschrieben hat.
Die Reise beginnt in einem Zug, und während der Fahrt fällt Blake immer wieder in einen Dämmerzustand, den die Kamera begleitet, indem sie Szenen abblendet, einen Moment in der Schwärze verharrt, um dann in eine neue Szene aufzutauchen. Später wird der Film dies konsequent fortführen, wenn Blake von einer Kugel getroffen worden ist. Dann allerdings wird es die versiegende Wahrnehmung eines sterbenden Mannes sein: Dead Man, der neue Film von Jim Jarmusch, ist ein Film über das Sterben, über den Tod.
Nun ist das in der mittlerweile hundertjährigen Geschichte des Kinos keine Neuheit mehr – man denke nur an den gnadenlosen "Odd Man Out" von Carol Reed -, aber noch nie ist die spirituelle Erfahrung des Sterbens so auf den Zuschauer übertragen worden wie in diesem Film. Schon einmal wurde versucht, das Sterben durch Ab- und Aufblenden darzustellen: In Wim Wenders‘ frühem Kurzfilm "Alabama – 2000 Lightyears", einer der ersten Kameraarbeiten von Wenders‘ langjährigem Weggefährten Robby Müller, der zwischenzeitlich auch zum festen Stab von Jim Jarmusch gehört und dementsprechend ebenfalls für die teilweise exzellente S/W- Arbeit dieses Films verantwortlich zeichnet.
So scheint es auch nicht verwunderlich, wenn man sich bei Johnny Depps Wanderungen durch nicht enden wollende Waldgebiete unwillkürlich an die Sümpfe Louisianas aus "Down by Law" erinnert fühlt. Auch die Nebenfiguren aus "Dead Man" scheinen dem bisherigen Personenrepertoire Jarmuschs entnommen zu sein und wirken in ihrer Geschwätzigkeit oft falsch plaziert in diesem sonst so düsteren Film. So läßt es sich Jarmusch nicht nehmen, Iggy Pop in Frauenkleidern eine äußerst eigene Version von "Goldilock und den drei Bären" erzählen zu lassen, und auch kleine Spielereien mit den Namen der Figuren ziehen sich durch den gesamten Film: so heißen zwei US-Marshalls Lee und Marvin, die Killer haben Namen wie Wilson und Pickett… Doch Jarmusch scheint es bewußt zu sein, daß sich dieser Film seinem bisherigen Werk entzieht, und so stirbt eine Person nach der anderen, wird erschossen oder aufgegessen, bis sich das Register der Charaktere nur noch auf die drei wichtigsten und einzigen symbolträchtigen Figuren beschränkt.
Es gibt nur wenige Gitarren-Virtuosen, die es verstehen, einem Film eine eigene Qualität abzugewinnen. Ry Cooder ist einer von ihnen, Neil Young, wie sich jetzt herausstellt, ein anderer. Das Presseheft von "Dead Man" zitiert dazu Die Zeit: "Youngs etwa 25 Alben sind eine éducation sentimentale, die ein einziges Thema traktiert: Wir wandern zum Tode und haben Zeit." So ist es denn auch zum großen Teil Youngs fieberndem und irritierendem Score zu verdanken, daß der Film zu einer wirklichen Allegorie auf den Tod geworden ist. Cocteau hat einmal gesagt, Kino bedeute nichts anderes, als dem Tod bei der Arbeit zuzusehen – im Grunde meinte er damit diesen Film.
Andreas Thein
Rigor mortis
Mit dem Tod eines Menschen beginnt der Prozeß der Totenstarre. Der Körper kühlt aus. Die Muskeln kontraktieren durch die fermentative Quellung der Muskelfasern. Der Körper wird steif. "Dead Man" ist ein kompromißloser Film. "Dead Man" ist ein kalter Film. Es ist Winter im Wilden Westen. Bäume ohne Laub. Kakteen aus Kunststoff. Grelles Licht wirft lange Schatten. Schwarz und weiß. Stimmen aus dem schwarzen Nichts. Die Gesichter sind versteinert. Nackte Haut auf nassem Matsch. Lachen erfriert. Liebe stirbt im Kugelhagel. Freundschaft wird Zweck. Das Lagerfeuer wärmt nicht. Menschen töten Menschen. Sie sterben lautlos. Totenköpfe überall. Der Tod des Helden steht nicht am Ende, er steht am Anfang.
Dead Man ist rigor mortis.
Hajo Schäfer